Förderung

IFK_Akademie 2023

Bewerbungsende: Wed, 12.04.2023, 23:59 Uhr

IFK_SOMMERAKADEMIE 2023

13.–19. August 2023: Jägermayerhof, Linz

Die Große Transformation

2020 wurde vom Direktor des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum, WEF) The Great Reset ausgerufen: Es sollen neue, gerechtere und nachhaltigere Wirtschaftsformen gefunden werden, besonders angesichts der pandemischen Krise. Doch die »Große Transformation« findet bereits viel länger und nicht nur unter den Menschen statt. Der Klimawandel sowie die fortschreitende Globalisierung bedingen, dass wir uns über neue Arbeitswelten ebenso Gedanken machen müssen wie über das Zusammenleben zwischen Tier und Mensch, zwischen der älteren und der jüngeren Generation, und über den zunehmenden Einfluss der Medien auf all diese Konflikte.

Die IFK_Sommerakademie möchte daher einen umfassenden Blick auf den (notwendigen) gesellschaftlichen Wandel legen. Bereits 1944 formulierte der in die USA geflüchtete Wiener Karl Polanyi The Great Transformation der westlichen Welt. Bis heute wird diese Analyse der fortschreitenden Industrialisierung und damit der sozialen Ungerechtigkeit als polanyisches Pendel eingesetzt (u. a. in Philipp Ther: Das andere Ende der Geschichte. Über die Große Transformation, Berlin 2019). In dieser Tradition ruft Ulrike Herrmann 2022 ganz explizit »Das Ende des Kapitalismus« in ihrem gleichnamigen Buch aus. Im Gegensatz zum Great Reset des WEF, der nach Veröffentlichung nicht nur unter Verschwörungstheoretikern als Weltherrschaftsfantasie einer kleinen Elite kritisiert wurde, sieht die Wirtschaftsjournalistin Herrmann Grünes Wachstum nicht als Lösung an. Stattdessen setzt sie auf Verzicht und Schrumpfen. Sie findet für dieses Modell sogar ein historisches Vorbild: die britische Planwirtschaft während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Was brauchen wir heute? Einen starken Staat oder gleich eine Weltregierung? Grünen Kapitalismus oder Planwirtschaft? Große Ideen oder situierte Praxen? Was sind die Kipppunkte – in der Fiktion wie in der Realität? Und wie schützen wir die Schwächsten unter den Lebewesen: die Tiere und Kinder?

Es wird immer deutlicher, dass die »Große Transformation« nicht nur ein Konflikt zwischen den Reichen und Armen ist, sondern besonders die Jungen mit den Älteren hadern lässt. Während Letztere in vielen westlichen Staaten das Gros der Wähler stellen, sehen die Jüngeren ihre Chance auf Veränderung nur noch im Aktivismus. Auch die Tiere sind nicht erst seit der umstrittenen Covid-19-Fledermaus beliebte Sündenböcke und damit ebenso zum Abschuss freigegeben wie die Umweltbewegungen Letzte Generation oder Extinction Rebellion. Laut der International Union for Conservation of Nature (IUCN) stehen 41.000 Spezies in diesem Jahr auf der Roten Liste – 28 Prozent des gesamten Tier- und Pflanzenreiches. Die Frage »Was brauchen wir heute?« erstreckt sich damit auch auf eine Transformation der Generationsbeziehungen, der Zeitverhältnisse und der Mensch-Tier-Welten.

 

IFK_FACULTY

Heinz Bude, Makrosoziologie

Astrid Deuber-Mankowsky, Medienwissenschaft

Eva Horn, Neuere deutsche Literatur

Thomas Macho, Kulturwissenschaften

Kerstin Weich, Philosophie und Tiermedizin

 

SEKTIONEN

Sektion 1: Transformation des Arbeitslebens, Leitung: Heinz Bude, Makrosoziologie

Ralf Dahrendorf hat schon früh darauf hingewiesen, dass die Transformation des Arbeitslebens durch die Ausdifferenzierung von High-Tech- und High-Touch-Bereichen bestimmt werden wird. Gewinner*innen werden die Personen mit den systemanalytischen Fähigkeiten in abhängiger wie unabhängiger Beschäftigung und auf der anderen Seite die Personen mit den »goldenen Händen« im Körperkontakt und den magischen Praktiken der Seelenmassage sein. Die Verlierer*innen werden diesen beiden Fraktionen zu Diensten sein müssen und im Übrigen die Aufgaben der Gewährleitung einer Infrastruktur der Versorgung mit den nötigen materiellen und immateriellen Lebensmitteln zu übernehmen haben.

Dieses Bild eines sich polarisierenden Arbeitslebens passt heute nicht mehr so ohne Weiteres und soll innerhalb der Sektion befragt werden. Im Zuge einer Politik des Klimawandels ist das Materielle in den Prozessen der ökonomischen Wertschöpfung wiedergekehrt. Der Herstellung von Batterien, die Andersverwendung von Wärme, die Entwicklung einer Landwirtschaft für Maniok neben der für Mais, Reis und Weizen haben die Disruptionen in der Digitaltechnologie längst in den Schatten gestellt. Der Handwerksbegriff hat die händische Seite der Arbeit wieder populär gemacht. Sozialfiguren wie der Meister, die Gesellin und der Lehrling wecken das öffentliche Interesse.

Auch das Dienstleistungsproletariat hat sich in der Pandemie als »systemrelevant« erwiesen und angesichts eines plötzlichen Mangels an Arbeitskraft wird das komplexe Arbeitsvermögen in der Dienstleistung wieder geschätzt. Dagegen erleben durch den Einsatz von selbstlernenden Expertensystemen die klassischen Professionen der Ärzte, Rechtsanwälte und Seelsorger Statusverluste. Gleichzeitig werden Clickworker als ein globales digitales Proletariat ausgemacht. Hier tut sich eine ganz neue Landschaft von Prüfungen und Bewertungen auf, die noch gar nicht in den Blick in der sozialwissenschaftliche Arbeitsforschung getreten ist. Deglobalisierung ist das Stichwort der Stunde, das einen ganz anderen Rahmen für eine Arbeitsleben jenseits des »Second Machine Age« darstellt.

 

Sektion 2: Der Klima-Leviathan. Das Politische Imaginäre des Klimawandels, Leitung: Eva Horn, Neuere deutsche Literatur

Die ökologische Metakrise des Anthropozäns ist auch eine Krise des Politischen. Regulationsmechanismen, die an einen nationalen Souverän gebunden sind (wie Steuern, Gesetze, Förderungen etc.) sind relativ machtlos gegenüber Problemen, deren Größenordnung transnational und planetarisch ist. Immer wieder wird nach politischen Modellen gefragt, die in der Lage wären, die dringend nötige ökologische und soziale Transformation auf globaler Ebene auszuhandeln und umzusetzen, so etwa theoretisch in Mann/Wainwrights Climate Leviathan oder auch fiktional in Robinsons The Ministry for the Future.

Das Panel soll sich mit solchen Modellierungen beschäftigen. Dabei geht es nicht nur um theoretische Revisionen des Politischen, sondern auch um Fantasien und Narrative über Regierungsformen, die auf die drohenden ökologischen Probleme reagieren. Politische Climate Fiction etwa steht oft im Bann der Hobbesianischen Alternative: Krieg aller gegen alle in einer Umwelt, die von Ressourcenknappheit und Klimawandel geprägt ist - oder ein totalitärer »Klima-Leviathan«, der Zusammenleben und Konsum exakt reglementiert. Das Panel soll sich mit solchen historischen, theoretischen und fiktionalen Modellierungen eines Politischen widmen, das auf die Herausforderungen des Anthropozäns reagiert - als Verhinderung des ökologischen Desasters oder auch als dessen zukünftiges Management.

 

Sektion 3: Leben in Medien - Medien des Überlebens: Perspektiven der Queer-Gender-Medien Studien auf die große Transformation, Leitung: Astrid Deuber-Mankowsky, Medienwissenschaft

Die »Große Transformation« wird nicht nur vorangetrieben durch technisch-mediale Prozesse, sie ist zugleich selbst eine mediale Transformation. Ubiquitious Computing, Big Data, Smartness Mandate sind einige der Begriffserfindungen für diesen Wandel. Sie reihen sich ein in eine Narration des Überlebens, die Donna Haraway »salvation histories of modernity« nennt. Dagegen hält sie selbst es mit Figurationen von verletzlichen Cyborgs, und zieht der Gaia-Hypothese die chtonische Medusa vor. Unter dem Titel Allseits Unvollkommen halten Harney und Moten der Verflechtung von Sklaverei und kapitalistischer Techno-Ökonomie die Untercommens-Praxis entgegen. Kara Keeling verbindet Black Futures mit dem Konzept der Queer Times und Lauren Berlant spricht von Affective Infrastructures.

Welche weiteren Denkformen, Praxen und Begriffe halten die Gender-Queer- Medien-Studien bereit, um die anstehenden Veränderungen in der Bandbreite ihrer Ambivalenzen zu denken? Welche Koalitionen gehen sie mit der Schwarzen Theorie ein? Wie verändern diese Verbindungen die Perspektiven auf den Diskurs der »Großen Transformation« und welche Weisen und Medien des (Über)Lebens bringen sie hervor?

 

Sektion 4: Krisenzeiten: Kulturelle Umgangsformen mit unsicherer Zukunft, Leitung: Thomas Macho, Kulturwissenschaften

Gegenwärtig leben wir in einer Zeit, die von multiplen Krisen geprägt wird: Pandemien, Kriege, Naturkatastrophen (Erdbeben, Flächenbrände, Überschwemmungen), Klimawandel mit zunehmend spürbaren Effekten, Hunger, Energieknappheit, Artensterben. Diese Krisen überlagern und verstärken einander; sie nähren eine diffuse Angst vor dem Ende, wie sie Deborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro in ihrer Studie In welcher Welt leben oder Michaël Fœssel in seiner Kritik der apokalyptischen Vernunft untersucht haben. Fraglich bleibt, ob der Krisenbegriff selbst die erhoffte oder gefürchtete »große Transformation« angemessen beschreiben kann. Häufiger wird daher inzwischen von einer Wende gesprochen: Energiewende, Ernährungswende, Mobilitätswende.

Ende oder Wende? Welche Praktiken, Techniken und Strategien haben vergangene und gegenwärtige Kulturen in ihrem Umgang mit unsicherer Zukunft entwickelt? An welchen Zeitvorstellungen haben sie sich dabei orientiert? Welche Narrationen, Fiktionen und Modelle – von der Apokalyptik oder Science Fiction bis zur statistischen Prognostik – haben sie angewendet und bevorzugt?

 

Sektion 5: Reclaim the habitats! Transformation der Mensch-Tierwelten, Leitung: Kerstin Weich, Philosophie und Tiermedizin

Mit Klimawandel und Biodiversitätskrise wird die Frage nach einem Zusammenleben mit Tieren von der Passion einiger weniger zu einem generellen Problem. Schützenswert sind nicht länger nur Panda, Nashorn und Buckelwal, sondern auch deren Parasiten, Kompostwürmer werden als Denkfiguren bemüht und nach Gerechtigkeit gegenüber Viren kann sogar in Coronazeiten gefragt werden. Re-Skalierungen der Vorstellung von Mensch-Tier-Kohabitationen lösen diese von der Assoziation mit Hunde- oder Katzenhalter*innen und lassen Übertragungen auf intra-organismische Relationen wie jene zwischen Mensch und Mikrobiom ebenso zu wie auf das gesamtplanetarische Verhältnis zwischen der Spezies Mensch und den „non-humans“.

In Sektion 5 wird nach den (nötigen) Veränderungen gefragt, die sich durch die planetare Ausweitung des Menschen und einer anthropozentrischen Politik im Zusammenwohnen mit Tieren ergeben. Die Vorstellung von Habitaten als tierartspezifischen Lebensräumen ist dabei ein prominentes Motiv, das die Praktiken und Narrative dieses Problems strukturiert. Davon zeugen die Kategorie der „invasiven Spezies“, der traditionelle Fokus des Arten- und Naturschutzes auf territoriale claims und Zonenpolitik, oder die Tatsache, dass Tierarten heutzutage gemeinhin nicht mehr ausgerottet werden, sondern wegen des Verlusts ihrer Habitate aussterben. Gleichzeitig mehren sich die Berichte über Tiere, die sich aktiv und kreativ neue, oft überraschende, Habitate schaffen. „Reclaim the habitats!“ bedeutet damit auch, sich kritisch mit der essentialisierenden Verknüpfung von Tierart und jeweiligem Habitat auseinanderzusetzen und Gegenentwürfe zu diskutieren. Sektion 5 lädt dazu ein, bestehende ‚habits‘, Gewohnheiten, im Denken von Mensch-Tier-Welten zu hinterfragen und Alternativen zu erproben.

 

ALLGEMEINE INFORMATIONEN UND ABLAUF

Teilnehmer*innen

Nachwuchswissenschafter*innen und kulturwissenschaftlich versierte Künstler*innen, die ein zentrales Interesse an Kulturwissenschaften haben. Österreichische Bewerber*innen oder solche, die an österreichischen Wissenschaftseinrichtungen arbeiten, werden besonders zur Antragsstellung ermutigt. 

Arbeitssprache

Die Arbeitssprache ist Deutsch. Bewerbungen aus dem nicht-deutschsprachigen Raum sind willkommen. Es muss allerdings gewährleistet sein, dass der/die Teilnehmer*in dem Diskussionsverlauf der Akademie gut folgen kann.

Arbeitsablauf

Von den Teilnehmer*innen wird erwartet, dass sie binnen sechs Wochen nach Teilnahmebestätigung in einem kurzen Text von ca. sechs Seiten (15.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) ein Argument zum Subthema einer Sektion darlegen und dieses im Rahmen der Akademie frei referieren, paraphrasieren, kontextualisieren sowie mit den anderen Teilnehmer*innen und den Mitgliedern der IFK_Faculty diskutieren. Dafür steht jeweils eine Stunde pro Teilnehmer*in zur Verfügung. Alle Teilnehmer*innen und alle Mitglieder der IFK_Faculty nehmen an allen Sektionen teil. Um eine intensive Diskussion und einen ausgeglichenen Wissensstand zu ermöglichen, wird die Lektüre der Kurztexte aller Teilnehmer*innen sowie von fünf Grundlagentexten vorausgesetzt, die als Arbeitsunterlagen in einem Reader zur Verfügung gestellt werden.

Anwesenheit

Im Interesse des wissenschaftlichen Austauschs ist es unerlässlich, dass alle Teilnehmer*innen während der Gesamtdauer der IFK_Akademie anwesend sind. Das IFK kommt für die Unterkunft  und Verpflegung (exkl. Getränke) auf, allerdings nicht für die Reisekosten.

Auswahl der Teilnehmer*innen

Die Verständigung über die erfolgreiche Bewerbung zur IFK_Akademie erfolgt im Mai 2021. Anschließend nehmen die Mitglieder der IFK_Faculty mit den Stipendiat*innen Kontakt auf, um die einzelnen Beiträge für die Akademie mit ihnen abzustimmen.

Stipendienumfang

Alle ausgewählten Bewerber*innen – insgesamt maximal 20 Personen – erhalten vom IFK ein Stipendium, das die Unterbringung im Einzelzimmer, Verpflegung (exkl. Getränke) sowie die Bereitstellung der Arbeitsunterlagen (digital) beinhaltet. Die Reisekosten sind selbst zu tragen. Im Anschluss an die Verständigung über die erfolgreiche Bewerbung werden die organisatorischen Details bekannt gegeben.

 

BEWERBUNG

Bitte nutzen Sie Google Chrome oder Firefox für die Einreichung.

Bitte Cache und Cookies immer automatisch löschen,

da es sonst Probleme beim Ausfüllen der Maske geben könnte.

 

Sie können sich auch für mehrere Sektionen bewerben, sollte Ihr Themenvorschlag passend sein. 

Bitte tragen Sie Ihre Daten in die dafür vorgesehene Maske ein und laden Sie EINE zuammengefügte PDF-Datei hoch, mit folgenden Informationen:

  1. Konkreter Themenvorschlag zu einem oder mehreren der fünf Subthemen
    (Titel und Text maximal 5.000 Zeichen inkl. Leerzeichen und Fußnoten)
  2. Tabellarischer Lebenslauf
  3. Kopie des letzten akademischen Abschlusszeugnisses
  4. Gegebenenfalls eine Liste der wissenschaftlichen Veröffentlichungen

 

Deadline: 26. März 2023

Bei Fragen zur Ausschreibung kontaktieren Sie bitte Julia Boog-Kaminski (akademie@ifk.ac.at)